Kastanien im Kopf

Johanna erzählt vom Leben mit der Diagnose Hirntumor

Es sollte ein Neubeginn werden, einer der ganz tiefen, mit neuem Fokus und einem Enthusiasmus, der vor Vorfreude gluckst. Nach meinem Austauschsemester in Norwegen wollte ich mein Leben auf den Kopf stellen. Das geschah dann auch, wenn auch ganz anders als geplant.
In einer kalten Nacht im Januar 2015 bekam ich beißende Kopfschmerzen, solche, die Dich zum Weinen bringen aus lauter Hilflosigkeit und zum Erbrechen zwingen. Als ich bemerkte, dass ich nicht mehr lesen konnte, geriet ich in Panik. Im Krankenhaus wurde mir dann eine Raumforderung im Gehirn diagnostiziert. Die Operation folgte bald, festgestellt wurde ein Glioblastom in der Größe einer Kastanie. Das war der Beginn einer Reise, die ich nie antreten wollte. Mein Rucksack aus Norwegen war da noch nicht einmal vollständig ausgepackt.


Wie in Trance stimmte ich auch einer Bestrahlung und Chemotherapie mit Temozolomid  zu. Im Sommer 2015 kam dann das Rezidiv. Eine  zweite Operation folgte. Damals  habe ich nicht damit gerechnet, das nächste Jahr zu erleben. Die Temozolomidtherapie wurde durch eine Chemotherapie nach dem PCV-Schema ersetzt, eine Kombination aus drei verschiedenen Medikamenten. Als sich im Herbst 2016 meine Blutwerte so stark verschlechterten, dass die Pausen zwischen den Chemozyklen immer größer wurden und nicht mehr sicher war, ob das Medikament half oder eine Ruhephase des Tumors dafür sorgte, dass meine MRT-Bilder unauffällig blieben, habe ich mich nach sehr gründlicher Überlegung für einen Abbruch meiner (mittlerweile Mono-)Therapie mit CCNU entschieden, besorgt und erleichtert zugleich. Das, was CCNU mir nach sieben Zyklen in diesem Moment an Lebensqualität nahm, konnte ich nicht mehr gegen den medizinischen Erfolg aufwiegen.

 

"Der Tumor ist ein Teil von mir, kein Gegner."

Im Ausland hatte ich begonnen, in einem Blog über meine Erfahrungen dort zu schreiben. Die Plattform wurde nach der Diagnose Glioblastom zu einem Anker für mich. Über den Blog und die Videos, die später folgten, konnte ich die Krankheit besser verarbeiten. Auf meinem Videoblog versuche ich, neben anderen Themen, die mich interessieren, ein möglichst komplexes Bild meines Umgangs mit dem Glioblastom zu zeichnen, thematisiere auch Tabus wie Gedanken an Sterbehilfe oder komplexere Perspektiven, die meine Ambivalenzen zeigen und sich nicht in den Polen tiefer Verzweiflung nach der Diagnose oder einem ungebremsten Optimismus finden lassen, denn in beiden konnte ich mich nicht wiederfinden.


Die Selbstreflektion, die über diese Plattformen stattfinden konnte, die Unterstützung durch meine Beziehungen, FreundInnen und meine Psychotherapeutin wurden unersetzlich in der sehr aktiven, konfrontativen Verarbeitung der Krankheit. Einmal las ich von einer Frau mit Krebserkrankung, dass sie „jetzt wirklich keine Zeit für diesen Unsinn“ habe und ihr Leben einfach weiterleben möchte. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und war mir in seiner lakonischen Einschätzung sehr nah. Irgendwann habe ich in mir eine Veränderung gemerkt: Ich hatte mein Vertrauen in mich und meinen Körper wiedergewonnen und konnte die Worte der Patientin nicht mehr nur verstehen, sondern auch selbst erfahren.


Momentan übe ich mich darin, mir möglichst wohlwollend zu begegnen. Der Tumor  ist ein Teil von mir, kein Gegner, den ich überwinden muss. Ich arbeite nicht gegen meinen Körper, sondern versuche, ihn in seinem Umgang mit dem Tumor so gut ich kann zu unterstützen. Ich versuche, mein Bild vom Fortschreiten der Krankheit realistisch zu halten und so viele intensive Momente zu erleben, wie eben möglich. Also reise ich so viel ich kann, schreibe, produziere Videos, diskutiere und genieße die Begegnungen mit meinen Herzensmenschen. Gerade habe ich verstanden, dass ich meiner Ohnmacht und Perspektivlosigkeit mit kleineren und mittelgroßen Projekten gut begegnen kann.
Ich strauchle, ich tobe, ich erlebe mich aber auch in tiefer Gelassenheit, in Glück und Dankbarkeit über die guten Momente und die Menschen, die mich begleiten – all das, um am Ende Ruhe und Akzeptanz zu finden mit dem Tumor.

Was immer da kommen mag, das Netz aus meinen Lieben und ich, wir werden das schon alles irgendwie schaffen. Wir haben immer alles irgendwie geschafft.


Johanna K.

 

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